Gleb Alexandrowitsch Rahr (Theologe und Journalist)
(3. Oktober 1922 – 3. März 2006)
Gleb Alexandrowitsch Rahrs (Pseudonym Alexej Wetrow) Lebensgeschichte ist so wechselvoll und spannungsreich, dass sie gut und gerne als Vorlage für einen Kinofilm dienen könnte. Er entstammt einem Kaufmannsgeschlecht mit skandinavischen Wurzeln, das dem Stand der Erb-Ehrenbürger des Russischen Reiche angehörte; dieser Stand wurde Anfang des 20. Jahrhundert formell dem Adel gleichgestellt. 1924 wurde die Familie aus Moskau, wo Gleb am 3. Oktober 1922 geboren wurde, ausgewiesen – zunächst nach Estland, von wo aus sie jedoch schon wenige Wochen später nach Libau in Lettland umzog. Hier wuchs Gleb Rahr auf und legte am deutschen Gymnasium das Abitur ab. Als 1940 die Rote Armee in Lettland einmarschierte, fürchtete die Familie, früher oder später Opfer von Repressalien zu werden und beschloss, zu fliehen. Im März 1941 schifften sie sich auf die Brake ein – es war das letzte Evakuierungsschiff, das von Libau aus in Richtung Deutschland startete.
!942 begann Gleb Rahr in Breslau mit einem Architekturstudium und wirkte beim Aufbau der russisch-orthodoxen Kirchengemeinde mit. Das alles aber war Rahr nicht genug: Er trat dem „Bund russischer Solidaristen“ – eine heute noch existierende, von Exilrussen gegründete Organisation, deren ursprüngliches Ziel es war, Russland vom Einfluss des Bolschewismus/Kommunismus zu „befreien“ und zu diesem Zweck eine unheilige Allianz mit den Faschisten einging. Die Nazis wussten den Patriotismus der NTS-Mitglieder zu nutzen, doch man beobachtete den Bund gleichzeitig mit großem Misstrauen. 1944 verhaftete die Gestapo eine Reihe von NTS-Mitgliedern, darunter auch Gleb Rahr. Nach etlichen grausamen Verhören in der Gestapo-Leitstelle in Breslau durchlebte er eine Odyssee durch die Konzentrationslager Groß-Rosen, Sachsenhausen, Schlieben, Buchenwald und Dachau – „Schutzhaft“ nannten die Nazis das zynisch. Erst als die Amerikaner am 29. April 1945 Dachau erreichten, sah auch Gleb Rahr das Licht der Freiheit wieder.
Seit Ende 1947 arbeitete Gleb Rahr für den in Frankfurt ansässigen Exilverlag Possev. Zur selben Zeit lebte er mit seiner Familie etliche Monate in Casablanca. 1950 schließlich zog er nach Deutschland zurück, um hier für den NTS zu arbeiten. Als Journalist nahm er an den Vier-Mächte-Konferenzen in Berlin und Genf (1954) und an der „Panamerikanischen Konferenz zum Schutze des Kontinents“ in Lima (1957) teil. Unter dem Pseudonym Alexej Wetow schrieb er zahlreiche Artikel und Arbeiten über die Lage der Kirche in Russland, darunter das 1954 im Possev-Verlag erschienene Buch „Plenennaja Zerkow“ (Kirche in Gefangenschaft). Von 1957 bis 1960 arbeitete Rahr für den NTS-Radiosender „Freies Russland“; der Sender befand sich nicht etwa in Deutschland, sondern in Formosa (heute Taiwan). In den folgenden drei Jahren war er Programmleiter des russischsprachigen Programms des Japanischen Rundfunks. Danach zog es ihn endgültig zurück nach Deutschland. Hier arbeitete er bis 1974 für den Possev-Verlag, danach bis 1995 bei Radio Liberty in München, wo er die religiösen Sendungen und die Radioprogramme „Russland gestern, heute und morgen“, „Nicht von Brot allein“ und „Der baltische Leuchtturm“ leitete.
Gleb Rahr war jedoch nicht nur Journalist, sondern auch ein sehr aktiver und angesehener Subdiakon der Russisch-Orthodoxen Kirche. In Frankfurt beteiligte er sich am Bau der orthodoxen St. Nikolai-Kirche in Frankfurt-Hausen. Viele Jahre lang war Rahr Mitglied des Diözesanrates des Deutschen Diözese der Russisch-Orthodoxen Auslandskirche. 1972 gehörte er zu den Gründern des Schweizer Instituts „Glaube in die 2. Welt“, 1974 reiste er als Vertreter der Deutschen Diözese zum III. Konzil der Russischen Auslandskirche nach New York. In unzähligen Vorträgen rund um die Welt referierte Rahr über die Lage der Kirche in Russland, auch und vor allem während der 1000-Jahrfeierlichkeiten der Christianisierung Russlands 1988. Diesem denkwürdigen Jubiläum widmete er auch sein Buch „Klöster, Starzen und Ikonen: 1000 Jahre russisch-orthodoxe Kirche“ (1988).
Sein engagiertes, von tiefer Frömmigkeit durchzogenes Engagement für den russisch-orthodoxen Glauben und die Kirche brachte ihm großen Respekt und Anerkennung bei Kirchenvertretern aller Konfessionen ein.
Als Erzbischofs Longin von Klin 1994 den Bau einer russisch-orthodoxen Kapelle zum Gedenken an die orthodoxen Opfer der NS-Zeit und jeder Gewaltherrschaft auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau anregte, gehörte Gleb Rahr zu den entschiedensten Befürwortern. Mit Erfolg: 1995 konnte die Auferstehungskapelle geweiht werden.
Am 3. März 2006 wurde Gleb Rahr von dieser Welt abberufen und eine Woche später auf dem russischen Friedhof in Berlin-Tegel beerdigt.
Gleb Rahr besuchte das DRKI am 3. Februar 1999 und am 17. März 2000.