Igor Iwanowitsch Winogradow, Kritiker, Schriftsteller und Journalist
(10. November 1930 – 29. Mai 2015)
Geboren in Leningrad und aufgewachsen in Perm, machte sich Igor Iwanowitsch Winogradow nach Beendigung der Schule ins ferne Moskau auf, um sich an der berühmten Lomonossow-Universität für ein Philologiestudium einzuschreiben. Nach Studium und erfolgreicher Verteidigung der Kandidatur war er von 1958 bis 1978 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Lomonossow-Universität beschäftigt. Parallel dazu arbeitete er systematisch an seiner Karriere im schriftstellerischen Metier. 1962 wurde er Mitglied des sowjetischen Schriftstellerverbandes.
Eine wichtige Etappe seiner Laufbahn als Journalist und Kritiker war seine Zeit bei der Zeitschrift „Новый мир“. 1965 Jahre wurde Winogradow Mitglied der Redaktion – zunächst als Leiter der Prosaabteilung, von 1967 bis 1970 als Leiter der Rubrik „Kritiken“. Chefredakteur war zu jener Zeit Oberstleutnant a.D. Alexander T. Twardowski. In diesen für die „Новый мир“ kritischen Jahren avancierte Winogradow zu einem der wichtigsten ideologischen Impulsgeber der Zeitschrift, doch den „richtigen Kurs“ zu finden war schwierig. Zunehmend sah sich das Redaktionskollegium unter der Leitung Twardowskis Anfeindungen ausgesetzt. Die aufreibenden Kämpfe endeten 1970 mit der Absetzung Twardowskis und einer Niederlage Winogradows.
Es war eine bittere Erfahrung für den erfolgreichen Kritiker und Journalisten – so bitter, dass sich Winogradow für etwa zehn Jahre von der Bühne des literarischen Lebens zurückzog. Umso intensiver widmete er sich seinen Forschungen auf dem Gebiet der Kunsttheorie und Religionsphilosophie am Institut für Kunstwissenschaften des sowjetischen Kultusministeriums (1970 bis 1979). Danach wechselte er ans Institut für Psychologie (1979 bis 1982). 1989 wurde er schließlich Mitarbeiter des bekannten Gorkiinstituts, wo er in den folgenden vier Jahren ein wertvolles Seminar über Literaturkritik lehrte. Längst beteiligte sich Winogradow auch selbst wieder aktiv an der Literaturszene. Mehr noch: Für einige Zeit arbeitete er wieder als Redaktionsmitglied der „Новый мир“!
Winogradow verfasste wegweisende Artikel über das Werk M. Bulgakows, Probleme beim Umgang mit Nietzsche, forschte über Dostojewski, Lew Tolstoi, Lermontow und Pisarew, gab Vorlesungen in Philosophie und Literatur in Genf, Mailand, Venedig und Neapel. 1992 wurde er in die Academia Europea aufgenommen. Seit 1993 gehörte Winogradow dem Exekutivkomitee des russischen Schriftstellerverbandes an.